from the depths of nowhere came forth a hollow voice
Karo Schultz und Thomas Lambertz
Kuratorinnen: Lea Lahr und Amelie Gappa
31.03.-14.04.2022, Do | Fr 16-19 Uhr
Eröffnung: 31.03., 19 Uhr / Book Release: 14.04.2022
Amelie Gappa u. Lea Lahr: Spätestens seit dem Spatial Turn Ende der 1980er-Jahre wird Raum als kulturelle Größe thematisiert und diskutiert. Raum wird nicht länger als physisch unveränderliche Gegebenheit, sondern als soziale, sich veränderbare Struktur anerkannt, die durch verschiedene Faktoren hervorgebracht wird. Damit verlagerte sich die räumliche Erfahrbarkeit von einem dualistischem zu einem komplexen System, dass das gesamte praktische Vermögen menschlicher Befähigungen miteinbezieht. Der Raum als unabdingbare Gegebenheit für die Wahrnehmung von künstlerischen Arbeiten ist somit nicht die einzige Form, durch die der Raum prägt. So steht auch der städtische, politische und gesellschaftliche Raum im Fokus unserer täglichen Wahrnehmung. Der Ausstellungstitel, aus der Novelle „Flatland” (1884) von Edwin A. Abbott entlehnt, bezieht sich somit auf die Grenzen unserer Empfindung von (Lebens-)räumen, da „Flatland” von einer zweidimensionalen Welt aus der Sicht einer ihrer Bewohner:innen erzählt. Auch die Aufteilung der Novelle zeigt, dass der physikalische Raum stets eng verwoben ist mit den anderen. In der zweidimensionalen Welt Flatland werden Machtgefüge und das Patriarchat anhand der geometrischen Formen der Figuren symbolisiert. Der Raum und soziale Umbrüche beeinflussen sich wechselseitig, sodass der Raum als Ort der Herrschaftsausübung dient. Der Protagonist „A. Square“ wird im zweiten Teil des Romans von einer für ihn höheren Macht aufgesucht, die ihm die Beschränkungen seiner eigenen räumlichen Wahrnehmung bewusst macht, da auch Kosmen mit einer, drei und vier Dimension(en) existieren. Der „Stranger”, auch „Sphere” genannt, zwingt ihn dazu die elementarsten Gesetze seiner Welt infrage zu stellen. Die Begrenztheit des zweidimensionalen Flatlands veranschaulicht der „Stranger” ihm, indem er körperlich für den Protagonisten nicht mehr anwesend ist, seine Präsenz aber durch seine Stimme belegen kann: „I winked once or twice to make sure that I was not dreaming. But it was no dream. For from the depths of nowhere came forth a hollow voice—close to my heart it seemed—.“
Karo Schultz arbeitet in ihrer künstlerischen Ausdrucksweise oftmals direkt mit dem Ausstellungsraum und geht gezielt auf die vorhandenen Strukturen ein. So zeigte sie beispielsweise 2021 die raumspezifische Installation „luster groundings”, die auf die Steckdosenanordnung des Ausstellungsraumes ausgerichtet war. Die im La Felce gezeigten Arbeiten von Karo Schultz schöpfen sich aus ihrem Interesse für fremde, groteske, verborgene Dinge und Orte. Die räumliche Auseinandersetzung und der direkte Eingriff in den Ausstellungsraum geschehen hier durch den Aufbruch der eigentlich hinter Rigipsplatten versteckten Tür.
Durch diese erneute Präsenz entsteht eine Kommunikationsmöglichkeit, welche aufgrund der Installation von Karo Schultz betont wird. So ist sie in Bezug zu Edwin A. Abbotts Novelle „Flatland“ eine direkte Bezugsstelle zu der fehlenden dritten Dimension in dem zweidimensionalen Flatland. Die chimärische Arbeit der Künstlerin nutzt diese allegorische Kraft der Tür und spielt mit ihr, indem hinter einer gläsernen Lupe die Perspektiven auf die Proportionen des angebrachten Vorhangs verzerrt werden. Das spiegelnde Auge lässt sich zudem als Utopieversuch erkennen, ist doch der Spiegel „ein Ort ohne Ort“, ein „irreale[r] Raum, der virtuell hinter der Oberfläche des Spiegels liegt”3 und somit den Aufenthalt in einem illusionären Raum ermöglicht. Gleichzeitig ist auch ein Bezug zu früheren Arbeiten Schultz’ zu erkennen, in welchen sie sich mit der Kraft des Portals auseinandersetzte. Da diese dritte Tür aus dem Ausstellungsraum heraus und in für die Besucher:innen unbekannte Hinterräume führt, kann auch sie als Portal verstanden werden.
Schultz’ filigrane Drahtfiguren betonen nicht nur weiter ihren interdisziplinären Ansatz, sondern scheinen wie im Raum zu schweben und so metaphysische Gesetze außer Kraft zu setzen. Ihre skulpturalen Objekte im Raum wirken wie Wesen, die sich aus einer anderen Welt in die unsere verirrt haben.
Für Thomas Lambertz Arbeiten repräsentiert der Raum keinen direkten architektonischen Bezugspunkt, sondern ein Gefühl der Geborgenheit und dient schlussendlich als subjektiver Schutzraum. Seine Objekte balancieren in einem wechselseitigen Verhältnis zwischen Wehrhaftigkeit und Wehrlosigkeit sowie Sicherheit und Gefährdung. Ausgehend von einer gewissen Unmittelbarkeit für die Betrachter:innen, inszeniert er existenzielle Momente, die identifizierbar erscheinen.
Durch die Fenster seiner Arbeiten entsteht eine Doppeldeutigkeit. Die weiße Wand markiert die Begrenztheit der Sicht, was dem eigentlichen Nutzen eines Fensters als Öffnung zur Außenwelt, durch das Licht und Luft in den Raum strömen kann, entgegensteht. Der Blick auf die weiße Wand kann zudem als kontemplativer Moment verstanden werden. Gleichzeitig wird durch den zarten Abdruck des Vogels auf der Fensterscheibe die Brutalität seines Aufpralls verdeutlicht, da diese Wand auch unschuldig hätte bleiben können. Von dem Vogel bleiben jedoch nur die zarten, indexikalischen Abdrücke zurück.
Während Fenster sinnbildlich für die Dialektik des Innen und Außen stehen, zeigt Lambertz uns, dass gerade dies von den Vögeln nicht verstanden wird. Die Unterscheidung zwischen Fenster und Wand ist für sie schwierig, signalisieren die Fenster doch genau wohin sie führen, nämlich ins Nichts. Unsere Schutzräume werden damit für die Tiere zu Orten der Gefahr. Gleichzeitig bleibt in einem westlichen Verständnis der menschliche Schutzraum gerade durch die trügerischen Fenster erhalten, sie erlauben einen Blick in die Natur, die dennoch ausgeschlossen ist. Sind Fenster nach Isa Genzken, eine Lebensnotwendigkeit: “Jeder braucht mindestens ein Fenster”4, sind sie immer auch Grenzwächter der Entfremdung. Wie Flatland bezieht sich auch Lambertz in seiner Arbeit auf die Beschränktheit unserer Wahrnehmung und die Frage, inwieweit sie unsere Realität manifestiert. Die Bilder, die wir konsumieren, bilden unsere eigene Lebensrealität5 und können so unsere Ersteigung aus der unterirdischen Höhle behindern.