Soft Spot
Julia Jesionek
Soft Spot
Julia Jesionek
15.03. 18-22 Uhr (Vernissage)
16.03.-14.04.2024 Do+Fr 16-19 Uhr
+ 18.04., 25.04., 26.04. 16-19 Uhr | 27.04. 16-22 Uhr, 28.04. 16-20 Uhr (c/o Pop Festival)
Exh.Team: Julia Jesionek,
mit Meike Eiberger (Ausstellungstext), George Popov (Plakat), Timo Schmidt (Ausstellung)
Spinnen, Schmetterlinge, auch Hufeisen; Sehnsüchte, Verletzlichkeit, auch Nacktheit, naked nicht nude. Julia Jesionek erzählt in ihren Arbeiten mit einer ehrlichen Fröhlichkeit von Bedürfnissen, Konflikten und Geheimnissen. Erzählt werden sie in Bildwelten, hybrid bestehend aus fiktiven Orten und aus welchen, die es schon gibt – im Innersten oder dort, wo es sich unbeobachtet fühlen lässt.
Soft und intensiv zugleich, ein schmunzelndes Verharren und Prüfen dazwischen sind charakteristisch für ihre Zeichnungen und Malereien. Die wiederkehrende Protagonistin und Charaktere lassen ein Selbstporträt vermuten. Durch die spürbare Ambivalenz wird schnell deutlich, dass die Ausstellung über ein reines Erzählen hinausgeht. TS
Info Julia Jesionek
Once more with feeling Text von Meike Eiberger
(scroll for eng)
Ich habe eine Schwäche für das Unbestimmte, für nahtlose Übergänge, für das Ausleben von Gefühlen, für das Tagträumen und für die leisen Töne. Mit Blick auf die Arbeiten Julia Jesioneks bekomme ich den Eindruck, dass unsere Vorlieben ähnliche sind. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ihre Gemälde uns dazu aufrufen, uns mit den Gedanken und Gefühlen der Künstlerin zu verbinden, sodass die Grenzen zwischen den Affinitäten verschwimmen. Entziehen kann man sich den leuchtenden Farben und surreal anmutenden Szenen keinesfalls, stattdessen lockt uns die Künstlerin immer weiter in ihre fantastischen Sujets. Derart werden wir Teil ihrer Kunst, erleben unmittelbar die Affekte der Dargestellten – wer sich darauf einlässt wird mit einer Reise durch das Innerste belohnt, die nicht zuletzt Auskunft über uns selbst geben kann.
Es brummt, zischt und wummert, wenn die Künstlerin sich ans Werk macht. Wie von Zauberhand werden Farben mithilfe der Airbrushpistole in winzige Partikel zerstäubt und lokalisieren sich durch den Luftdruck auf der Leinwand. So reiht sich Mintgrün an Indigo und Rosa an Rot. Blicken wir auf die Gemälde Jesioneks, ist das Wummern immer noch aus der Ferne zu hören. Es bietet uns Orientierung in dieser künstlerischen Welt, die zwar an die Realität erinnert, aber nichts mehr mit ihr gemein hat. Wummernd fühlen sich ebenso unsere Augen, wirken doch viele der Bilder, als ob auf ihnen ein Weichzeichner liegt, der die permeablen Grenzen zwischen unserer Realität und der inneren Welt der Künstlerin verwischt. Vor lauter Neugier tauchen wir bereitwillig in diese Szenen voller starker Protagonist:innen, fantastischer Wesen und allerlei seltsamen Gegenstände ein.
So findet man sich, ähnlich wie die auf das Blatt geschossenen Pigmente, inmitten dieser surrealen Szenerien wieder. Ist das noch Traum oder Wirklichkeit? Und wenn ja, in wessen Traum bin ich hier eigentlich? Vielleicht träumt die rothaarige Figur in meandyoumories gerade auch von mir und ist genauso verdutzt, wie ich in diesem Moment. Ruhig liegt sie auf einer Vielzahl von Dingen und gleicht dabei einer Prinzessin auf der Erbse. Schlüssel, Teekanne, Kamm und Hufeisen sowie Häschentasse scheinen wie gemacht für diesen tiefen Schlummer. Durch die zarten Farben und die flauschige Textur des Farbauftrags wirken alle Beteiligten in sich selbst federleicht und tuffig. Zu gern würde auch ich dort ein Schläfchen machen – gut bewacht von der rosa Schlange und der Taube. Im Traum werde ich Teil dieser Ordnung, zerfließen meine eigenen Erinnerungen, die zu geteilten werden. Nur das Fieberthermometer lässt die Realität für einen Augenblick aufblitzen – handelt es sich bei dieser wunderbaren weichen Watte-Welt vielleicht doch nur um einen Fiebertraum? Dann wäre es kein Wunder, dass der Kopf so dröhnt – oder ist das womöglich jenes vibrierende Echo, das auf die Entstehung des Werkes verweist?
Viel Zeit darüber nachzudenken bleibt nicht, denn der Blick möchte weiterwandern, sehen, wie diese wundersamen Bild-Geschichten sich weiterspinnen. Vor unseren Augen entwickeln sich die Gemälde zu einer Art Narration – wenngleich die Szenen keine eindeutige Abfolge vorgeben. Durch ihre Durchlässigkeit finden die unterschiedlichen Sujets zueinander, so wie Jesioneks Gedanken und Affekte zu den meinen. Ich fühle mit bei den weinenden Gesichtern, deren große Tränen auf den Boden fallen und den Bilduntergrund wie bei Pond of You zu durchtränken scheinen. Der Eindruck, im wahrsten Sinne einen Tränenteich vor sich zu haben, verstärkt sich durch die Materialität der Malerei: Statt einer Leinwand ist ein Frottee-Handtuch notwendig, um all den Gefühlen gerecht zu werden. Ich fühle die sanften Umarmungen, die Kraft spenden und sich nicht nur auf menschliche Akteur:innen beschränken. In diesen surrealen Konstellationen, dieser Traumwelt erscheint alles möglich – hier kann jede Emotion in ihrer noch so kleinsten Nuance ausgelebt werden!
Bei dieser gnadenlosen Offenheit ist es nur logische Konsequenz, dass viele der Personen in Jesioneks Werken nackt oder nahezu nackt sind. Im Innersten gibt es keinen Raum fürs Verstellen, für Maskeraden oder Pokerfaces. Hier gibt es keinen Grund zu performen. „Nackt zu sein, bedeutet man selbst zu sein“ (Im Original: „To be naked is to be oneself.“) konstatierte 1972 John Berger in seinem vielbeachteten Essay „Ways of Seeing“. Haut fungiert als zarte und permeable Grenze zu unserer Außenwelt. Nackt zu sein bedeutet darum nicht zuletzt, im besonderen Maße verletzlich zu sein. Im Umkehrschluss ermöglicht nackt sein eine tiefergehende Wahrnehmung der Umgebung, merken wir doch unbekleidet jede kleine Nuance des Windes oder der Temperatur auf unserer Haut.
Wie Gefährtinnen begleiten uns die rothaarigen Figuren durch diese inneren Welten. Mal schauen sie uns direkt an, ein anderes Mal sind sie nur klein im Hintergrund zu sehen. Schnell sind wir dazu geneigt, sie als Selbstporträts der Künstlerin zu identifizieren, doch das wäre eine zu eindimensionale Betrachtung. Vielmehr fungieren sie als Alter Ego: wo es schwer fällt voll und ganz nackt, im Sinne von authentisch, zu sein, zeigen sie auf, was in der Imagination bleibt. Sie dienen uns ebenso als Rezeptionsfiguren, wenn wir ihnen gegenüberstehen oder hinter ihrem Rücken auf das Geschehene blicken. Sie eröffnen uns diese Denkräume der Situationen und Affekte, bieten den Anker, um vollends in diese eintauchen zu können. Ob betrübt, fröhlich, stolz oder zufrieden – ähnlich einer Blaupause demonstrieren sie uns, was auf der Klaviatur der Emotionen möglich ist.
In diese, durch die Maltechnik weich anmutenden, Werke ziehen darum auch schwierige Gefühle ein. Mit wütendem und misstrauischem Blick taxiert uns die rothaarige Figur in Slow Burn. Der sonst so oft in leuchtenden Farben gestalte Hintergrund ist hier verdunkelt, die zarten Schmetterlinge wirken wie aufgeschreckt. Im Mittelalter wurde die Brennnessel genutzt, um böse Geister und Dämonen abzuwehren. Es wirkt beinahe so, als hätte die Protagonistin sie mithilfe des Blicks herauf beschworen, um sich gegen vermeintlich feindliche Einflüsse zu schützen. Ärger und Misstrauen bekommen so ein Gesicht und bedeuten uns keinen Schritt näher zu kommen. Was im Alltag allzu oft mit einem falschen Lächeln übergangen und im Inneren ausgetragen wird, tritt hier an die Oberfläche. Als ironische Brechung des Geschehens lässt sich die Miniatur des kleinen silbernen Bärchen in der linken unteren Ecke verstehen. Komplementär zur Rothaarigen lächelt uns der Bär an, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Wie das Anschauen von süßen Tiervideos im Internet, so entpuppt sich auch das Sticker-Bärchen als adäquater Coping Mechanismus für schwierige Gefühle. Zugleich lassen sich die beiden Bildebenen umdrehen und als Aufforderung verstehen, im Alltag nicht immer das lieb dreinblickende Bärchen zu mimen, sondern auch widerspenstige Affekte zuzulassen und ihnen mehr Raum einzugestehen.
Es sind diese Ambivalenzen, die sich in den Bilder Jesioneks stetig auftun. In Form von Zweideutigkeiten, doppelten Böden oder Interferenzen rufen sie zuweilen Irritationen hervor, eröffnen aber einen ebenso breiten Interpretationsspielraum. Die zarte Machart der Gemälde wird durch die zum Teil düsteren und ernsten Sujets gebrochen. Die Protagonistinnen ziehen uns hinein in das Geschehen, nicht ohne sich zuweilen wieder von uns zu distanzieren. Die Werke leben vom Dazwischen, vom Uneindeutigen, aber ebenso von unserer Bereitschaft uns allumfänglich auf dieses Wechselspiel einzulassen. Und so wummert es weiter…
Julia Jesionek, geboren 1998 in Gifhorn studierte bis 2023 an der Kunsthochschule für Medien Köln. Ihre Arbeit in den Bereichen Zeichnung, Malerei und Animation beschäftigt sich oftmals auf spielerische Art und Weise mit den Themen Körperlichkeit und Introspektion. 2022 war sie mit ihrem Kurzfilm Fulfillmenot bei den Kurzfilmtagen Oberhausen, dem Kurzfilmfestival Köln sowie auf weiteren internationalen Festivals vertreten. Ihr Abschlussfilm Everythingness feiert im Mai Premiere in Oberhausen. Mit ihren Gemälden präsentiert sie im La Felce nun ihre erste Einzelausstellung.
I have a soft spot for the uncertain, for seamless transitions, for letting feelings run wild, for daydreaming and for quieter notes. When I look at the works of Julia Jesionek I get the impression that our preferences are alike. Perhaps it is also that her paintings invite us to connect with the artist’s thoughts and feelings, so that the boundaries between affinities become blurred. One cannot quite escape from the bright colors and surreal scenes, instead the artist lures us further and further into her fantastic subjects. Thus, we become part of her art, directly experiencing the emotions of the depicted characters – those who allow themselves to do so will be rewarded with a journey through the innermost, which can ultimately give us insight into ourselves.
It hisses, sizzles and hums when the artist sets to work. As if by magic paints are atomized into tiny particles and spread across the canvas through the air pressure. Mint green lines up with indigo and pink follows red. When we look at Jesionek’s paintings, we can still hear the humming from afar. It offers us orientation in this artistic world, which is reminiscent of reality but no longer has anything in common with it. Our eyes as well feel like they are buzzing, as many of the paintings appear seen through a soft-focus lens that blurs the permeable boundaries between our reality and the artist’s inner world. Driven by curiosity, we willingly immerse ourselves into these scenes full of strong protagonists, fantastical beings and all kinds of strange objects.
Like the pigments shot onto the sheet, we find ourselves in the midst of these surreal scenes. Is this still a dream or reality? And if so, whose dream am I actually in? Perhaps the red-haired character in meandyoumories is also dreaming of me, as baffled as I am in this moment. She is lying calmly on a variety of things and resembles a princess on a pea. Keys, teapot, comb and horseshoe and bunny cup seem tailor-made for this deep slumber. Through the delicate colors and the fluffy texture of the application of paint, all the subjects appear inherently light and delicate. I too would love to take a nap there – well guarded by the by the pink snake and the dove. In my dream, I become part of this order, my own memories melting meant to be shared. The thermometer makes reality flash up for a moment – is this wonderful soft cotton world merely a fever dream? Then it would be no wonder that your head is pounding – or is that perhaps the vibrating echo that refers to the creation of the painting?
There is little time to contemplate because the gaze wanders on, to see how these wondrous stories continue to unfold. Before our eyes, the paintings develop a kind of narrative – even though the scenes do not follow a clear chronology. Through their permeability, the different subjects find their way to each other, just as Jesionek’s thoughts and emotions to mine. I empathize with the weeping faces, the large tears falling to the floor and seeming to soak the background of the painting, as in Pond of You. The impression of literally having a pond of tears in front of me is intensified by the by the materiality of the painting: instead of a canvas, a towel is needed to take in all the feelings. I feel the gentle embraces that give strength and are not just limited to human characters. In these surreal constellations, this dream world, anything seems possible – here, every emotion can be lived out in its subtlest nuance!
Given this straightforward openness, it is only logical that many of the characters in Jesionek’s works are naked or almost naked. Within, there is no room for disguise, for masquerades or poker faces. There is no reason to perform here. “To be naked is to be oneself” John Berger stated in his highly acclaimed 1972 essay “Ways of Seeing”. Skin acts as a delicate and permeable threshold to the outside world. Therefore to be naked means to be particularly vulnerable.
Conversely, being naked allows us to perceive our surroundings more profoundly, as we notice every little nuance of the wind or the temperature on our skin. Like companions, the red-haired characters accompany us through these inner worlds. Sometimes they look directly at us, other times they can only be found in the background. We are quickly inclined to identify them as self-portraits of the artist, but that would be too one-dimensional of a view. Rather, they function as alter egos: where it is difficult to be fully, completely naked, in the sense of authentic, they show what remains in the imagination. They also serve us as figures of reception whether we stand facing them or peek from behind their backs. They open up these mental spaces of situations and emotions, providing the anchor that allows us to fully immerse ourselves. Be it sad, happy, proud satisfied – like a blueprint, they demonstrate what is possible on the palette of emotions.
The artworks, which appear soft due to the painting technique, do incorporate difficult feelings as well. The red-haired character in Slow Burn gazes at us with anger and suspicion. The background, which is otherwise so often painted in bright colors, is darkened, the delicate butterflies appear startled. In the Middle Ages, burning nettles were used to ward off evil spirits and demons. It almost seems as if the protagonist has conjured them to protect herself against seemingly hostile influences. Anger and mistrust are thus given a face and indicate that we are not to come closer. What is all too often brushed over with a false smile in everyday life and dealt with internally comes to the surface here. The little silver bear in the bottom left-hand corner can be understood as an ironic refraction of what is happening. Complementary to the character, the bear smiles at us as if butter wouldn’t melt in its mouth. Just like watching cute animal videos on the internet, the sticker bear turns out to be an adequate coping mechanism for difficult feelings. At the same time, the two image levels can be flipped and understood as an invitation to allow unruly emotions and grant them space rather than ever miming the sweet-faced bear.
It is these ambivalences that constantly emerge in Jesionek’s paintings. In the form of ambiguities, false bottoms or interferences, they sometimes cause irritation, however opening up an equally broad scope for interpretation. The delicate style of the paintings is contrasted by the sometimes gloomy and serious subjects. The protagonists draw us into the story, not without at times distancing themselves from us again. The works draw from the in-between, from the ambiguous, but also from our willingness to fully engage in this interplay. And so they hum on…
Julia Jesionek, born 1998 in Gifhorn, graduated from the Academy of Media Arts Cologne in 2023. Her work in the fields of drawing, painting and animation often deals in with the themes of physicality and introspection in a playful manner. In 2022 her animated short film Fulfillmenot was screened at the Oberhausen Short Film Festival, the Cologne Short Film Festival as well as other international festivals. Her graduation film Everythingness, will be premiering in Oberhausen in May. With her paintings, she is now presenting her first solo exhibition at La Felce.