Eddie Kola. Grenoble, Grenoble, Grenoble
Francisca Silva, Patrick Niemann, Ramon Quenders
26.10.-24.11.2024 | Do + Fr 16-19 Uhr
Opening: 25.10.2024 | Finissage 30.11. 17-21 Uhr + Release Booklet Exhibition 2024
Text: Elisa Mosch
Exhibition: Timo Schmidt
Ist man an einem anderen Ort ein anderer Mensch? Eine Reise ist stets mit einem Ortswechsel verbunden. Wann hört ein Ort also auf, wann fängt der nächste an, und ab welchem Moment beginnt eine Reise? Reisen kann man physisch, aber auch geistig und emotional; oder wenn man Worten folgt und liest. Man kann in der Zeit reisen, in Erinnerungen und in Vorstellungen von der Zukunft, an den Ort oder Moment, an den man sich sehnt. Sehnsucht ist das treibende Sehnen nach dem, was gerade nicht ist. Eine teils schöne und zuweilen verzweifelte Reise, jedoch mit klarem Ziel. Und Imagination und Kreation können dazu genutzt werden, diese Reise anzutreten.
Patrick Niemann (*1976), Francisca Silva (*1984) und Ramon Quenders (*1992) leihen uns ihre inneren und äußeren Bildwelten und verbinden jene zu dritt in der Ausstellung Eddie Kola. Grenoble, Grenoble, Grenoble im La Felce.
Eddie Kola ist ein Graffiti-Schriftzug, der in dem Essay Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen (1975) von Jean Baudrillard erwähnt wird. Zusammen mit Grenoble Grenoble Grenoble ist der dadaistisch anmutende Titel nicht nur phonetisch wohlklingend, sondern erinnert an einen Zauberspruch, der durch dreifache Besiegelung wirksam wird.
Francisca Silva arbeitet als Tattoo-Künstlerin in New York und absolvierte ihre künstlerische Ausbildung an der Züricher Hochschule der Künste (ZHdK). Sie nutzt ihr eigens kreiertes Lettering nicht nur für ihre Tätowierungen, sondern auch für ihre multimedialen Kunstwerke. Mit ebendiesen lebensbejahenden, hexischen und reflektierenden Aussprüchen und Bildmotiven, fasziniert sie sich für Phänomene der nicht sichtbaren Parallelwelten, der Popkultur sowie die Sprache des Internets. Die beiden Künstler Patrick Niemann und Ramon Quenders absolvierten ihr Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie in den Klassen von Albert Oehlen und Andreas Schulze, und fanden ihre künstlerischen Anfänge beide in der Graffiti-Szene. Und Graffiti ist eine Sprache, die draußen lebt, voller Kodierungen und Kürzel. Und eine Sprache ist eine Welt.
Ramon Quenders macht sich Schrift zu eigen und nutzt sie wie Titel oder Plakatüberschriften, oder Unterschriften. Seine gemalten Szenen verweisen auf Sehnsuchtsorte und Sehnsuchtsmomente. Erinnerungen an warme Tage, das Vermissen und Schwelgen, stehen als Verweise auf die sonnige Seite des Lebens, die einst war. Sie erzählen davon, dass Glück stets ein Moment ist, die Wertschätzung eines Moments erst real wird, wenn er zur Erinnerung geworden ist, und muten deshalb bittersüß an.
Auf der einen Seite wirken die Bilder kindlich-naiv, auflockernd und befreiend. Und doch tragen sie weitere Schichten, die sich herausschälen, je länger man sie betrachtet. Sie zeugen von der Kraft, die Reminiszenzen bieten, greifen eine Melancholie auf, die Reife mit sich bringt, ohne dabei bloß traurig zu sein. Sie erzählen vom Aufbrechen mit Bewusstheit und Klarheit. Sie erzählen von der tief emotionalen und gleichzeitig ernüchternden Erkenntnis, die kommt, nachdem man erlebt hat, dass Sehnsucht, das sehnliche Verlangen nach etwas ist, das gerade nicht ist, oder nicht sein kann. Sie sprechen von Hoffnung und Verzweiflung gleichzeitig. Die lebendige und helle Bildsprache an der Oberfläche der Leinwände, taucht ein in Hintergründe und Untergründe des Lebens.
Patrick Niemann nutzt bunte und oft helle oder gar grelle Farbflächen, um kreisende und reisende Gedanken anzudeuten und eröffnet Bedeutungshorizonte. Auf seinen unlokalisierbaren und minimalistisch in Farbkategorien gehaltenen Landschaftsbildern, ist allein die Horizontlinie kennzeichnend, für die Grenze zwischen Boden und Land. Die früheren Serien namens LandEscapes und Nightscapes (2021/22) deutet an, dass er die malerische Flucht auch als reale Flucht betrachtet. Der Ort bleibt offen und undefiniert, durch Farbflächen und abstrahierende Reduziertheit, klare Linien und Abgrenzungen. Definitionen finden nur im eigenen Denken statt, agieren wie Signale, die auf etwas hinweisen, was man zu kennen meint. Es geht in Niemanns Arbeiten nicht ums Verstehen, sondern ums Offenlassen und Sehnen im Gesehenen, um die Utopie, die eine Landschaftsmalerei oftmals verheißt. Andere Serien (2005) von ihm lassen ebenso Stellen offen. Sie zeigen Schrift, Sprache und Personen, deuten Szenen und Sujets an und lassen Grenze wiederum verschwimmen, durch Auslassungen und scheinbare Unfertigkeit. Die Unfertigkeit triggert, gibt Figuren und Konstellationen im Bild jedoch eine starke Präsenz, emotionale Intensität und Schlagkraft, die tief in persönliche Erinnerungen trifft.
Die neueste Serie (2024) verbindet die beschriebenen früheren Serien miteinander und lockert Grenzen auf. Die in dunkleren und doch prägnanten Farben gehaltenen Landschaften leiten da, wo früher klare Linien waren, Unschärfen ein und lassen Umrisse, die einst die Ordnung boten, verschwimmen. Das Thema des Fliehens, Offenlassens und gleichzeitig des Öffnens fließt auch in die dämmrigen Landschaften mit ein – sie treiben Richtung Nacht, in der das Unbewusste und Unterbewusste regiert.
Francisca Silva graviert ihre Bildschrift und typografischen Symbole auch auf die Oberfläche von menschlichen Körpern in ihren Tätowierungen. Gleichzeitig ist ihre eigene Handschrift auch in ihren Bildern auf Papier und Leinwand zu finden, die wie eine Geheimsprache erscheinen. Silva schlägt die Brücke und schließt die Klammer, hinein in den Spiritualismus. Sie stellt uns vor einen Kosmos an Eigenheiten, die durch Repetition zur Konvention werden und im Raum ihre Gültigkeit erfahren. Ihre oft immersiven Arbeiten nehmen die Betrachtenden mit hinein, in einen Bann, und wirken nahezu rituell.
Ihre Bilder sind wie Altäre, Privates wird nicht versteckt, sondern absichtlich entblößt – Höheres wird beschworen, gleich einem Tempel der Imagination. Es fühlt sich an, als würde man eingeweiht, wenn man ihre Bilder betrachtet und Teil von etwas ganz Intimen, und gleichzeitig etwas nun Allgemeingültigen. Etwas das schon existierte, etwas, das man ahnte, aber nicht wusste. Francisca Silva interessiert Irdisches sowie Außerirdisches, Sinnliches, als auch Übersinnliches, und zaubert dieses in den Ausstellungsraum.
Alle drei künstlerische Positionen in der Ausstellung Eddie Kola. Grenoble, Grenoble, Grenoble stellen uns vor ein neues Firmament an Zeichen, die an Orte der Sehnsucht verweisen. Und Sehnsucht hat viele Schichten. Sie ist in erster Linie, wie ein Magnet, oder ein Motor. Sie hat immer ein bestimmtes Ziel, an das sie uns treiben will. Das Trügerische und Tragische an ihr ist nur, dass dieses Ziel oft unerreichbar ist. Sie ist Liebe in Verbindung mit Drang und Unmöglichkeit. Sehnsüchtige Liebe danach, woanders zu sein, etwas zu haben oder vor allem mit jemandem zu sein. Eine Erweiterung zu erfahren, die wir denken zu brauchen. Die wir einst vielleicht sogar hatten und in den Händen hielten, aber nicht halten konnten. Oder die uns nicht halten wollte oder konnte. Manches Sehnen ist immoralisch, treibt uns an die eigenen Grenzen, in den
Ländern in unserem Inneren. Manchmal hoffen wir, Falsches mit Falschem wettmachen zu können, versuchen gegen die Zerfahrenheit und Verfahrenheit zu rebellieren, indem wir an einer Hoffnung festhalten, die scheinbar die Einzige ist, die es vermag, eine Erleichterung zu bringen. Und danach dann ist sie die Realisation, dass der letzte Funke von ebendieser Hoffnung meist nicht hält, was er verspricht.
Ein Disput in unserem eigenen Inneren, ist ihr stets auf den Fersen – gegen und mit uns selbst. Das schleichende Kribbeln der wunderschönen Erinnerung, gepaart mit dem realen Gefühl der Niederlage und des Verlierens. Etwas doch noch retten und halten wollen. Sehnen verbindet eines der höchsten Gefühle mit dem der Ausweglosigkeit. Hoffen und Aufgeben reichen sich die Hand und verbinden sich in einem Drang, der an manchen Punkten im Leben kaum auszuhalten ist. Hoffnung, Hingabe und Verzweiflung ringen miteinander, tanzen, schwanken, bis sie dann in eine Richtung kippen. Wir legen unser Herz auf diese Waagschale namens Sehnsucht; pendeln sie in unseren Händen hin und her und hoffen, dass sie auf eine Seite kippt. Oder nicht kippt. Denn Sehnsucht ist der Ort dazwischen. Sie wohnt inmitten der Amibivalenz. Zwischen dem, was sein könnte und dem, was wirklich da sein kann. Sie treibt uns zu dem, was wir so sehr wollen, aber nicht haben können, aus Gründen, die das Schicksal bestimmt. Und Sehnsucht ist Intensität. Weil sie uns unsere Machtlosigkeit, unsere Vergänglichkeit und unsere Sterblichkeit auf bittersüße Weise erklärt. Sie erklärt uns eine Nuance mehr, als allein Liebe oder Leidenschaft es könnte, auch wenn die drei sich sehr nahestehen. Sie bringt uns an den Rand von dem, was wir selbst sein können. Sehnsucht lehrt uns erst kaum aushaltbares Verlangen, und dann, danach, nach dem Verlieren, nach der Ernüchterung, lehrt sie uns Akzeptanz. Sie lehrt uns Vertrauen. Und sie zeigt uns, dass manche Begegnungen und Orte echt waren, doch manchmal nur noch in der Erinnerung und aus der Entfernung funktionieren. Sie lehrt uns auch das Loslassen. Und dann das Wiederfinden. Sie zeigt uns, dass das was wir wirklich sehnen, sich auch nach uns sehnt. Dass es uns sieht und uns erkennt, oder uns woanders wieder trifft. Wir lernen das durch Enttäuschungen. Und egal, wie weit man reist, oder wo man hingeht, da ist man selbst auch. Reist man der Sehnsucht hinterher, verbergen sich oft Trugschlösser hinter ihr, die von weitem aussahen wie Paläste. Wir finden sie und uns hinter dem, was dazwischen liegt. In dem, was dahinter liegt.
Für die Ausstellung Eddie Kola. Grenoble Grenoble Grenoble im La Felce zeigen uns Patrick Niemann, Francisca Silva und Ramon Quenders ihren Blick auf ihre Sehnsüchte und Sehnsuchtsorte. Teilen mit uns Geheimnisse, spiegeln unsere Sehnsuchtsorte, und kreieren zusammen eine Bildwelt, in der sich ihre Ziele und Zeichen aus anderen Welten, Orten und Momenten zusammenfinden. Sie zeigen uns, was dazwischen und dahinter liegt.
Elisa Mosch