„Fantastic Epiphany“ schöpft sich aus der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Individuellen Mythologie, den der Kurator Harald Szeemann im Rahmen der documenta 5 (1972) prägte. Er definiert ihn im Vorwort zum Katalog der documenta als „das Feld subjektiver Mythenbildung mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit durch die bildnerische Formulierung“. Es handele sich bei Individuellen Mythologien um künstlerisch inszenierte, fiktiven Welten, welche in sich geschlossene und kontrollierte Systeme darstellen, die eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Im Vordergrund stehe demnach stets das Kreieren einer eigenen Narration, einer eigenen Bildsprache, einer eigenen Weltanschauung. Die Individuelle Mythologie kann sich dabei aus verschiedenen Quellen speisen, die einen Rahmen bilden, um eine eigene Semantik zu erzeugen. Für „Fantastic Epiphany“ kreierten die Künstler*innen Naiyun Yang und Malwine Stauss in enger Zusammenarbeit eine Gesamtinstallation, die sich aus persönlichen Erinnerungen, Träumen und der Offenlegung innerer Zustände ergibt.
Für „Fantastic Epiphany“ hüllt Naiyun Yang das La Felce in Dunkelheit und versetzt uns damit in eine Situation zwischen Traum und Wirklichkeit. Oft erklingt das Zwitschern eines Vogels, was in unserem kollektiven Gedächtnis den Beginn des Tages markiert, doch ist es die Nachtschwalbe, die singt – ein für die Künstlerin vertrautes Geräusch, das sie viele Nächte begleitete. Die Nachtschwalbe ist eine seltene Vogelart, die sich durch menschliche Eingriffe aus ihrem natürlichen Habitat verdrängt sieht und – infolgedessen – den Menschen selbst bei seinem Schlaf stört. Naiyun Yang verweist damit auf wechselseitige Beziehungen, wie solche zwischen Tag und Nacht oder Mensch und Tier. Der Klang der Nachtschwalbe kann zudem als ein Hinweis auf eine Traumwelt verstanden werden, einen Zwischenzustand zwischen Schlaf und Wachzustand. Naiyun Yangs bisherige Installationen wurden oft durch Performer*innen ergänzt, aktiviert oder umgedeutet. In der Ausstellung „Fantastic Epiphany“ werden die Besucher*innen jedoch selbst integraler Bestandteil, indem sie durch ihre Bewegungsabläufe Yangs Lichtinstallation aktivieren, die sich in unterschiedlichen Formationen über die Wände erstrecken.
Malwine Stauss‘ Keramikskulpturen bringen stets eine eigene Persona und Präsenz mit sich. Oft sind sie bekleidet mit glänzenden Rüstungen aus organischen Formen, stehen in festem Stand, die Hände in die Hüfte gestemmt, immer mit offenem Blick. Sie scheinen sich durch ihre Gestaltung, Attribute und Symbolik zunächst klassischer antagonistischer Strukturen zu bedienen, dabei spiegeln sie laut Stauss auch verschiedene inneren Zustände der Offenbarung und Transformation wider. Wie Protagonist*innen zeitgenössischer Mythen präsentieren sich die Figuren und entfalten in Naiyun Yangs Inszenierung ein Eigenleben, treten mal in Erscheinung, mal in den Hintergrund, interagieren miteinander oder beobachten ruhig das Geschehen. Was daraus resultiert, ist ein Raum, der einen semantischen Rahmen bildet, eine Geschichte erzählt, die durch die Figuren von Stauss und der Installation von Naiyun Yang verbildlicht wird. Amelie Gappa